15
Okt
2011

Tallinn Ülemiste

So. Geschafft. Ich sitze am Gate und warte aufs Boarden. Um die Zeit zu verkürzen nutze ich das Gratis-WLAN des Flughafens. Gleich vorweg: Nur weil ich heute heimfliege, heißt das nicht, dass dies der letzte Eintrag im Blog ist. Ich muss sowieso noch den Bericht schreiben, das kann ich genau so gut im Blog erledigen.
Jetzt am Flughafen war es etwas stressig. Ich hab dann doch das Gewichtslimit ein wenig überschritten. Krista hat mir ein paar Sachen abgenommen, und die Dame am Schalter hat ein Auge zugedrückt oder einundzwanzig. Bei der Sicherheitskontrolle wurde ich dann gefilzt, so gründlich wie noch nie zuvor in meinem Leben.
Das Konzert gestern war wunderbar - Schloss Kadriorg ist echt sehenswert und es tut mir leid, dass ich es erst am letzten Tag meines Aufenthaltes entdeckt habe. Zaristischer Barock. Der imperiale Prunk mit dem Schlosspark samt alten Bäumen und Ententeich erinnert ein bisschen an Wien, nur dass neben dem Park gleich der Strand ist. Beim Konzert wurde Beethoven, Brahms und Liszt gegeben. Die Veranstaltung trug den Titel "Wiener Abend", was bei dem Programm eine recht interessante Namensgebung ist. Egal, es war wirklich schön.

Und da beginnt auch schon der Checkin.

Abschied

Mein letzter Tag am Tabasalu Gümnaasium. Jeder Abschied enthält ein bisschen Traurigkeit, aber ich freue mich auch auf daheim, darauf, meine Lieben wieder zu sehen. Ich freue mich auf meine Schüler, auf mein Fach Physik, auf die Autonomie bei der Unterrichtsgestaltung. Und ich freue mich darauf, die in Estland gemachten Erfahrungen in meinen Unterricht einfließen zu lassen.
Gestern waren Krista Alari und ich noch Abendessen in einem Restaurant, das früher mal eine Mühle war. Sehr gute Forelle, dazu Saku-Bier. Alari ist der ICT-Administrator der Schule. Er war auch neugierig, meine Meinung über die Schule zu hören. Von ihm habe ich erfahren, dass es seit kurzem ein neues Schulunterrichtsgesetz gibt, wonach die Schulen verpflichtet sind, bis 2013 alle Klassenräume mit Beamern auszustatten. Sechzehn fehlen ihm noch, d.h. das Ziel wird voraussichtlich zumindest in Tabasalu erreicht werden.
Ich habe heute schon eine Englischstunde bei Kersti hospitiert, angeblich in einer der schlimmeren Klassen. Stimmt, die Schüler waren unruhiger und ein wenig provokanter. Von Österreich bin ich aber schlimmeres gewohnt. Meine Hochachtung vor den estnischen Lehrern für die vielen Unterrichtsstunden, die sie halten müssen, und das niedrige Gehalt, das sie dafür bekommen. Dafür machen sie wirklich einen ziemlich guten Unterricht. Aber in allen Unterrichtsstunden, die ich gesehen und selbst gehalten habe, habe ich die Klassen im Vergleich mit Österreich viel ruhiger und angenehmer erlebt. Dafür Respekt vor den österreichischen Lehrern.
Mit Kristas 6. und 8. Klasse haben wir auch noch Palatschinken gemacht. Das war recht lustig, die Schüler dieser Gruppen sind wirklich nett. Recht viel Deutsch haben wir nicht geredet, aber zumindest wissen sie jetzt glaube ich recht gut, dass Piim Milch heißt und jahu Mehl, und Eier und Salz und Marmelade und dass man in Österreich zu Pfannkuchen Palatschinken sagt und zu Aprikosen Marillen.
Abschied auch von Tamara, mit der ich mich bei allen Unterschieden doch recht gut verstanden habe. Komisch war es dann schon, aus der Schule rauszugehen und zu denken „Das war’s!“ Ich ging dann auch noch zum Strand, um mich vom Meer zu verabschieden. Es war sogar nochmal richtig sonnig am Nachmittag und ich konnte mich nur schwer von den Wellen, den Felsen und den Möwen und Enten losreißen.
Später geht es noch in ein Klavierkonzert im Schloss Kadriorg in Tallinn. Das Konzert findet aus Anlass des Jubiläums des Deutschen Lesesaals der Nationalbibliothek statt. Der Eintritt ist frei, und für mich ist das ein schöner Abschluss.

12
Okt
2011

Die Ostsee heißt in Estland...?

Eigentlich logisch.

Westsee.

Gespräch mit Kersti Vana - Fortsetzung

Heute war ein ereignisloser Tag. In der 7. Klasse funktioniert mein Unterricht irgendwie nicht so super. Die Kombination "Nicht-wirklich-Deutsch-können", "von-Haus-aus-eher-nicht-mit-dem-Lehrer-reden-wollen" und "keinen-Bock-auf-Lernen-haben-weil-Hormone" erweist sich auch in Estland als ziemlich ungünstig. Neuigkeitswert dieser Erkenntnis? Zugegeben, nicht viel.
Da ich heute in der Deutschstunde zeitweilig alleine war, weil Krista mit ihrer Klasse ins Theater fahren musste, nutzte ich auch die Gelegenheit, mit den Schülern ein wenig über ihre Schule zu plaudern. Grundtenor: im Allgemeinen halbwegs zufrieden ("Es geht"), Prüfungen gibt es mäßig viele bis zu viele, über den Umfang der Hausübungen stöhnen alle.
Ich konnte auch eine Mathematik-Stunde hospitieren. Auch hier nicht viel Neues, eine normale Übungsstunde, freundliche Lehrerin. Diese setzt auch kooperative Gruppenarbeiten ein, was ganz gut kam. Sie sagte mir, wieviel man als Lehrer in Estland verdient. 700 Euro. Für eine volle Lehrverpflichtung. Und das Preisniveau ist in Estland nicht so viel niedriger. Und im Restaurant essen ist sogar vergleichsweise teuer.

Mit Kersti Vana sprach ich gestern auch über Zuwanderer und die russisch-stämmige Minderheit. Letztere ist in Tabasalu praktisch bedeutungslos. Es gibt so wenige Russen und auch keine Probleme mit ihnen. Immigration ist in Estland irrelevant. Kaum jemand will dorthin ziehen, und die Einwanderungsbestimmen sind recht streng. Zwei- bis dreihundert Bewerber gibt es jedes Jahr, hauptsächlich Russen, Weißrussen und Ukrainer, vereinzelt auch Afrikaner. Zehn von ihnen dürfen ins Land. Aus der EU kommt eher niemand dauerhaft her. Abgesehen von Wochenendhäusern, die von Finnen, Schweden, Deutschen und Polen ganz gern gekauft werden.
Vor zwei Jahren hat man hier am Gymnasium eine Umfrage unter Eltern und Schülern durchgeführt, um zu sehen, wie es um die Zufriedenheit mit der Schule steht. Ca. 70% der Schüler wie der Eltern gaben an zufrieden oder sehr zufrieden zu sein. Eben so gut schnitten die Lehrer ab, sie werden überwiegend als freundlich und hilfsbereit gesehen. Dem stehen 6-7% gegenüber, die genau das Gegenteil behaupten. Wie diese Ergebnisse einzuschätzen sind, ließ Kersti offen.


Morgen gehts nach Väana, dort gibt es eine Schule auf einem Gutshof. Um 11 Uhr sind wir wieder zurück, und ich kann ein paar Stunden halten. Der vorletzte Tag am Tabasalu Ühisgümnaasium...

11
Okt
2011

Zur Frage, ob ich von hier nach Finnland sehe II

Mein Bruder hatte den Einwand, dass man ja auf einen höheren Turm als die Klippen von Tabasalu steigen könnte, dann müsste es sich zumindest für die höchsten Gebäude Helsinkis ausgehen, von Estland aus sichtbar zu sein. Ich habe nachgerechnet, und stimmt, vom Tallinner Fernsehturm aus müsste man nach Helsinki sehen.
Gestern kam das Gespräch mit Ervin auf eben dieses Thema, und Ervin bestätigte: Vom Fernsehturm sieht man bei sehr schönem Wetter nach Helsinki. Ich bleibe aber dabei: Von Tabasalu aus sehe ich nicht nach Helsinki, schon gar nicht bei dem Wetter, und auf den Fernsehturm will ich auch nicht rauf.

Helsinki bleibt von mir unbeschaut!

Paide

Estnische Gastfreundschaft at its best. Ich konnte mit Ervin, der in Tabasalu in der Kommunalverwaltung arbeitet, schon letzte Woche in seinem Büro ein bisschen reden. Er hat mich damals, wie er es auch schon bei den anderen Gastlehrern vor mir getan hat, eingeladen, mit ihm nach der Arbeit in seine Heimatstadt Paide und am nächsten Tag in der Früh wieder nach Tabasalu zu fahren. Ervin pendelt nämlich täglich ca. 110 km von zu Hause in die Arbeit.
Paide ist ein kleines Städtchen zienlich genau in der Mitte von Estland, mit etwas über 9000 Einwohnern, die früher mal über 10000 waren. Doch es gibt keine Jobs dort und die Leute ziehen weg.
Ervin sagt selbst, dass der Storch in falsch zugestellt hat und dass er eigentlich für Deutschland bestimmt gewesen sei. Er lernte Deutsch in der Schule und vergaß danach wieder fast alles, doch vor fünfzehn Jahren installierte er bei sich zu Hause Satellitenfernsehen und sieht seitdem regelmäßig bis ständig deutsches Fernsehen, hört deutsche Musik, liest deutsche Zeitungen und fährt regelmäßig zu seinen Freunden in Feldkirchen an der Donau und in der Schweiz. Sein Deutsch ist hervorragend, mit einem Schweizer Akzent, den er selbst nicht so ganz erklären kann. Die Liebe zum deutschen Kulturraum begleitet ihn schon sein ganzes Leben, und auch seine Tochter teilt diese Begeisterung - derzeit ist sie als Au-pair und Studentin in Deutschland.
Ervin und seinen ca. 50 Kollegen von der Kommunalverwaltung der Gemeinde Harku, zu der auch Tabasalu gehört, stehen ca. 13000 zu verwaltende Einwohner gegenüber. Gemeinsam mit einem Kollegen ist Ervin für alle Kindergärten, Schulen und auch ein bisschen für das Kulturleben in der Gemeinde zuständig. Die sieben Kindergärten bieten in etwa 850 Plätze, also deutlich zu wenig.
Neben der Tabasalu-Schule (850 Schüler) gibt es noch zwei andere Schulen mit insgesamt 130 Plätzen. Die Schulleitung wird übrigens vom Bürgermeister angestellt.
Ervins siebzehnjähriger Sohn Gert war so freundlich mich mitzunehmen als er am Abend ausging um mit seinen Freunden abzuhängen. Er erwies sich als sehr offener und mitteilsamer Bursche, auch seine Freunde waren sehr nett, sprachen jedoch nicht viel, da sie ihre Englischkenntnisse für nicht ausreichend hielten. Gert redete dafür umso mehr und ich konnte auch ein wenig die Perspektive der Schüler ein wenig kennenlernen. Zusammenfassend kann man sagen, dass man offenbar recht zufrieden ist mit der Schule, sie wird als Ort des Lernens gesehen (und nicht als Ort des Knechtens). Es fielen auch Worte über Lehrer, die sich nicht auskennen oder durch ihre repetitiven Ermahnungen eher lächerlich wirkten ("You'll get a minus for that!"), aber sonst überwiegte die positive Einstellung.
Ich hatte heute Gelegenheit, dies von anderer Seite bestätigen zu lassen. Ich konnte nämlich mit der stellvertretenden Schulleiterin hier, Kersti Vana, ein langes Gespräch führen - über die Schule im Allgemeinen, in Estland und in Tabasalu im Speziellen. Sie erzählte mir, wie im Gymnasium Tabasalu mit Schülern mit Lern- oder Verhaltensproblemen umgegangen wird. Und wir sprachen auch über eine Umfrage, die an der Schule unter Eltern und Schülern durchgeführt wurde, wo unter anderem die Zufriedenheit der Schüler erhoben wurde.

Was die Esten noch alles in der Schule anders machen

Wenn ich Kersti Vana richtig verstanden habe, gibt es in Tabasalu keine T-Klassen wie in Pärnu. Probleme der Schüler werden bereits in der Grundschule angegangen. Es gibt Fördergruppen, in denen z.B. Lesetrainings oder Logikübungen gemacht werden. Die Fördergruppen finden während der Unterrichtszeit statt, die betreffenden Schüler werden einfach für die Zeit aus dem Unterricht geholt. Wenn die Schüler die Grundschule abschließen, sollten sie demnach schon auf die Sekundarstufe vorbereitet sein, auch was die Arbeitshaltung betrifft.
Bei Verhaltensproblemen gibt es wie auch bei uns zuerst einmal das individuelle Gespräch mit dem Schüler, wo die Absichten der Lehrperson und des Schülers klar gemacht werden. Dass die Pausen in Estland mindestens zehn Minuten dauern, erleichtert dies wohl. Oft folgt dann auch ein eben solches Gespräch mit den Eltern. Bringt dies immer noch keine Besserung gibt es auch in Tabasalu Schulpsychologen und Sozialpädagogen.
Die Eltern sind wie gesagt verpflichtet, bei Vorladung in der Schule zu erscheinen. Kommen sie dieser Verpflichtung nicht nach, klopft gleich mal der Sozialarbeiter an die Tür.
Eine weitere Verpflichtung der Eltern besteht z.B. darin, bei Fällen von Mobbing oder Bullying den Klassenvorstand zu informieren. Eltern und Lehrer sollen den gleichen Informationsstand haben, ist die Politik; die Kooperation der Schule mit den Eltern ist sehr wichtig und kann eben auch von Gesetzes wegen eingefordert werden.
Es gab noch ein paar interessante Sachen, aber ich erinnere mich jetzt nicht an alles. Dieser Artikel wird also noch ergänzt werden. Für den Moment reichts.

Lesen Sie in der nächsten Ausgabe:
Immigration in Estland
Russen in Tabasalu
Die Umfrage unter Eltern und Schülern

9
Okt
2011

Fremdsprachen in Estland

Noch ein paar Worte über den Fremdsprachenunterricht in Estland. Im Prinzip können die estnischen Schüler bis zu vier Fremdsprachen wählen, als A-, B- C- und D-Sprache bezeichnet. Die A-Sprache ist dabei die erste lebende Fremdsprache, B die zweite usw. A beginnt in der 5. Schulstufe, B in der 6., C und D können in der Oberstufenform gewählt werden (also ab der 10. Stufe).
Als A-Sprache wählen die meisten SchülerInnen Englisch (mehr als 62 %), gefolgt von Deutsch, Französisch und Russisch. Auch Finnisch und andere Sprachen werden an manchen Schulen angeboten, spielen in der Statistik jedoch keine große Rolle.
Bei den B-Sprachen ist Russland die am häufigsten gewählte, vor Englisch und Deutsch. Letzteres wird am häufigsten als C-Sprache gewählt. Der typische Fremdsprachbildungsweg eines estnischen Schulkindes sieht also so aus: Zuerst Englisch, dann Russisch oder vielleicht Deutsch. Andere Variante: Deutsch als A-Sprache, Englisch dann für B.
Im Lauf der Jahre hat Russisch eine interessante Entwicklung gemacht. Während der Sowjetzeit war Russisch verpflichtend. Nach Wiederherstellung der Unabhängigkeit brach die Zahl der Russischlernernden dramatisch ein. Englisch übernahm die Führung, und Deutsch lernten eine Zeitlang fast genau so viele SchülerInnen wie Russisch. Französisch blieb die ganze Zeit über auf dem gleichen Level, nämlich praktisch ohne Bedeutung.
Im Lauf der Jahre setzte sich dann doch langsam die Erkenntnis durch, dass Russland ein wichtiger Handelspartner ist. Die Zahl der Russischlerner klettert seither schön langsam wieder nach oben, auf Kosten von Deutsch.
Etwa 1,1 Millionen Menschen auf der ganzen Welt sprechen estnisch als Muttersprache (lt. Wikipedia). Synchronisiert wird da fast nix, allenfalls Kinderprogramme. Das heißt, englische, deutsche, französische, finnische, russische und schwedische Filme und Serien werden im Fernsehen im Originalton mit Untertiteln ausgetrahlt. Natürlich schnappen da die Kids auch recht viel auf. Fluch oder Segen?

Haapsalu

Schön langsam habe ich dann genug von Tabasalu, oder eigentlich eher von dieser Wohnung, dem harten Bettsofa, den leeren Schränken, dem nicht glücklich machenden Essen. Mein liebster Ort in Tabasalu ist der Strand und der Naturpark die Klippen entlang. Heute morgen war ich auch dort und es gab noch ein bisschen Sonne, denn ab 11 liegt das Kliff in seinem eigenen Schatten. Es ist so schön da, wenns nicht so kalt wär, bliebe ich den ganzen Tag dort. Ich habe Fossilien gefunden und ein paar Mineralien. Sicher nichts Wichtiges, aber trotzdem faszinierend. Der Kalkstein hier ist immerhin eine halbe Milliarde Jahre alt.
Gestern war ich mit Krista in Haapsalu, an der Westküste. Wie Pärnu ein alter Kurort, angeblich gibt es dort den besten Heilschlamm Estlands. Es gibt eine teils verfallene Bischofsburg, alte Kurhäuser und Villen. Man müsste zum Aquarellieren hinfahren, jede Menge malerischer Motive. Auch sehr empfehlenswert: Das Ilon-Wikland-Museum. Frau Wikland ist die Illustratorin, die die meisten Bücher Astrid Lindgrens illustriert hat. Sie wurde in Tartu geboren und verbrachte ihre Kindheit zuerst in Tallinn, dann in Haapsalu, bis sie während des zweiten Weltkrieges nach Schweden emigrierte. Wenn jemandem der Turm der Bischofsburg bekannt vorkommt: Ilon Wikland hat den Turm der Burg von "Ronja Räuberstochter" diesem Turm nachempfunden. Das hat sie selbst erst bemerkt, als sie Jahre später wieder einmal nach Haapsalu reisen konnte.
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Auf der Fahrt nach Haapsalu erzählte Krista einige Interna des Tabasalu Gymnasiums. Geschichten, die mir nicht ganz unbekannt vorkamen. Rivalisierende Lehrergruppen, Neid, Leute, die nicht wissen, wie gut es ihnen eigentlich geht und die nichts besseres zu tun haben, als anderen das Leben schwer zu machen - das gibt es also auch hier. Auch die schon beschriebenen Nominierungen für den besten Lehrer/die beste Lehrerin ist eine recht heikle Sache. Die Direktorin, aber auch die Elternvertretung kann Lehrer für diese Auszeichnung nominieren. Es können auch mehrere Kandidaten pro Schule nominiert werden, was oft nötig ist, um keine Lehrergruppierung zu vergrämen. Dann gibt es eine Vor-Ausscheidung im Landkreis, wo die 15 besten ausgewählt werden. Zu denen zählt auch Krista, und das wurde eben am Freitag bekannt gegeben. Und dann geht es erst auf nationaler Ebene weiter.
Was also die Lehrer angeht, werde ich recht ernüchtert wieder nach Hause fahren: Weder besser ausgebildet, noch wesentlich anderer Unterricht, was über den Routinebetrieb hinausgeht geht vom persönlichen Engagement der einzelnen Lehrpersonen aus - die estnischen Lehrer ähneln den österreichischen sehr, im guten wie im schlechten. Aber was hatte ich eigentlich erwartet?

8
Okt
2011

Zur Frage, ob ich von hier nach Finnland sehe

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R ist der mittlere Erdradius des Internationalen Ellipsoids. Der Erdkrümmungsradius kann lokal auch bis zu 6400 km betragen - größerer Radius bedeutet flachere Erde bedeutet größere Sichtweite. Doch selbst mit diesem maximalen Wert kommt man kaum über neunzehneinhalb Kilometer hinaus. Und Helsinki ist 80 km entfernt.

7
Okt
2011

Zum Thema Sowjet-Architektur

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Mal ehrlich - der soziale Wohnbau war in den Fünfzigern überall eine architektonische Katastrophe. Nicht nur in der Sowjetunion. Solche Kisten wie auf dem Foto oben gabs auch bei uns. Bei uns sehen sie halt jetzt so aus wie auf dem unteren Foto: saniert, irgendein Glas-Schnickschnack an der Fassade. Mal sehen, was wir in weiteren fünfzig Jahren DAVON halten werden. Die beiden Fotos zeigen übrigens zwei benachbarte Häuser in Kuressaare, die wahrscheinlich einst zum selben Bauprojekt gehört haben.
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Lehrertag

Am 5. Oktober war ja Internationaler Lehrertag. Hier am Tabasalu Ühisgymnaasium begeht man den heute mit einem etwas anders organisierten Unterricht. Erstens: Die 12.-Klässler (also 8.-Klässler im österreichischen System) halten den Unterricht der 5.-9. Klassen, wobei die Stunden nur 35 Minuten dauern. In der Grundschule gibt es normalen Unterricht.
Die Lehrer, die dadurch nun nix zu tun haben, können entweder im Sportzentrum neben der Schule schwimmen gehen oder gemeinsam kochen. Einige bleiben glaube ich auch einfach zu Hause. Ich habe mich jedenfalls fürs Kochen entschieden, das ist geselliger. Wir waren ca. zu zehnt, lauter Lehrerinnen und ich. Was ist mit den Männern?
Es wurden diverse Kuchen und Aufläufe zubereitet. Tamara und ich haben in einer Gruppe zusammengearbeitet und uns an mangelnder Back-Praxis gegenseitig übertroffen, aber am Ende hat unser Apfelkuchen mit Cognac allen geschmeckt. Die anderen Sachen waren natürlich auch sehr lecker. Alles in allem war es eine nette Atmosphäre.
Ich muss bei der Gelegenheit anmerken, dass ich mit Tamara S. inzwischen weitaus besser zusammenarbeite. Wir sprechen uns ab, sind offen für die Ideen des jeweils anderen, es passt also alles in allem.
Danach hatte ich eine Stunde Unterricht mit der 6. Klasse (also 12-jährige Schüler), und um 1 Uhr gab es einen kleinen Festakt im Festsaal, wo die Schüler ein wenig die Lehrer hochleben ließen. Es wurde gesungen, getanzt und ein Film vorgeführt, und drei Fünftklässlerinnen (estnisches System) sagten ein Gedicht auf und waren dabei ganz rot im Gesicht vor Verlegenheit. Der Bürgermeister war da und ehrte die beste Lehrerin der Gemeinde Harku, nämlich niemand anderen als Krista Savitsch. Das wird offenbar von einer Jury bestimmt, wo man auch irgendwelche Unterlagen einreichen muss - ich weiß nicht genau wie das geht, aber ich habe Krista auf jeden Fall aufrichtig gratuliert.
Am Nachmittag fuhr ich nach Tallinn, um in der österreichischen Botschaft die Fahrtkosten für meine Reise nach Saaremaa ersetzt zu bekommen. Danach spazierte ich noch in die Altstadt und setzte mich in ein Kaffeehaus. Die Einrichtung imitierte Jugendstil - in Tallinn gibts übrigens nicht so wenig Jugendstilhäuser. Keineswegs nur mittelalterliche Altstadt, wie ich allzu oft in Magazinen und Wochenendbeilagen von Zeitungen gelesen habe. Jedenfalls spielten sie in dem Café stimmungshalber nostalgische Musik im Hintergrund, alte Jazznummern und Gassenhauer, zum Teil auch estnisch gesungen. Und ich begann nachzudenken, wie es denn wohl vor der Sowjetunion in Tallinn war. Roaring Twenties auch im Baltikum? Grund zum Feiern hätte es ja gegeben, schließlich wurde Estland 1921 unabhängig. Ich denke, es wird sehr ähnlich gewesen sein wie in Helsinki, doch das hilft mir kaum weiter, denn ich weiß eigentlich auch nicht, wie es in Helsinki damals war.
Wir Mitteleuropäer verbinden zwanzig Jahre nach der Wende immer noch mit allem östlich der March den Sowjet-Mief (O doch, ich habe Recht! Wider besseren Wissens und obwohl wir es nicht offen zugeben, aber wir waren zu lange Zeit nichts anderes gewohnt als Schaudergeschichten von den armen "Ostblocklern"). Als ob die noch bestehenden Plattenbauten mehr bedeuteten als die geleisteten Anstrengungen und die Einstellungen der Menschen. Und was mir heute in dem Café eingefallen ist: Estland hat ja lediglich eine Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts unter Sowjetherrschaft verbracht, von 1940 bis 1991. Davor gab es 40 Jahre, die ähnlich verliefen wie in anderen Teilen Europas: Monarchie, 1. Weltkrieg, Republik.
Heute erinnert mich Estland eher an den IKEA-Katalog als an Lenin-Statuen. Der Fuhrpark auf den Straßen ist vom österreichischen kaum unterscheidbar, die Leute ziehen sich modisch an, es gibt Bio-Lebensmittel im Supermarkt zu kaufen. Freilich sieht man zum Teil heruntergekommene Wohnblocks, aber auch renovierte; freilich sind manche Straßen in furchtbarem Zustand, aber es wird viel gebaut, natürlich auch mit EU-Mitteln; freilich sind die Öffi-Busse etwas veraltet, aber in den Schulen gibts mehr Beamer als ich das von Österreich gewohnt bin. Insgesamt sieht man, dass Estland eifrigst dabei war, die noch vorhandenen Rückstände aufzuholen, aber momentan durch die Krise ein wenig gebremst wird. Diese Einschätzung hat mir auch Ervin Jürisoo, der nette Mann am Gemeindeamt von Harku, bestätigt, nicht ohne seine Zuversicht auszudrücken, dass es nach der Krise weitergehen wird mit dem Aufholen.
Estland orientiert sich sehr stark an Skandinavien, viele Esten arbeiten in Finnland oder Schweden. Gleichzeitig gibt es auch viele Wirtschaftsbeziehungen nach Russland und eine russische Minderheit im eigenen Land und Russisch als Fremdsprache wird in den Schulen schön langsam wieder mehr unterrichtet. Estland könnte da vielleicht in Zukunft noch eine interessante Rolle spielen in den Beziehungen des vereinten Europa zu Russland.

5
Okt
2011

Scheene Fotos

Estland hat eine schöne und intakte Natur. Ein paar der schöneren Fotos habe ich in dieser mahara-Ansicht zusammengestellt. Enjoy!

Über Estlands Schulsystem im Allgemeinen

Heute war ein recht ereignisloser Tag. Mit Kollegin S. arbeitete ich heute wesentlich besser zusammen als gestern. Gestern war ich nach der Schule noch am Gemeindeamt der Gemeinde Harku, zu der auch Tabasalu gehört. Dort konnte ich ein wenig mit dem Bereichsleiter für Bildung und Kultur plaudern, was recht interessant war.
Bevor ich darauf näher eingehe, endlich mal was über das estnische Schulsystem an sich. Die Informationen stammen von den Vorträgen, die ich am Beginn des Aufenthaltes mit den anderen Gastlehrern in der Nationalbibliothek gehört habe.
In Estland werden die Kinder mit 7 Jahren eingeschult. Davor gibt es eine Verpflichtung zu Vorschulerziehung, die meistens im Kindergarten erfolgt, die aber auch die Eltern zuhause geben können. Die Schulpflicht dauert neun Jahre oder bis der/die SchülerIn 17 Jahre alt geworden ist. Nach Abschluss der Schulpflicht können die Schüler in die obere Sekundarstufe gehen (3-jährig), oder berufsbildende bzw. Berufsschulen besuchen (ebenfalls 3-jährig).
Es gibt nur eine gemeinsame Schule für alle 7- bis 15-jährigen. Und da in manchen Schulen auch noch die obere Sekundarstufe angeboten wird, gehen viele Schüler in Estland zwölf Jahre lang in die selbe Schule. Und haben unter Umständen den selben Lehrer/die selbe Lehrerin, denn in Estland ist es möglich, die Ausbildung zur GrundschullehrerIn und zur GymnasiallehrerIn zu machen und auch als solche eingesetzt zu werden. Diese Trennung zwischen den Schulstufen und Schultypen, wie wir sie in Österreich haben, kennt man hier also nicht.
Es gibt aber auch Tendenzen, dieses Schulsystem doch ein wenig aufzutrennen. Z.B. sind öffentliche Schulen in der Regel Gesamtschulen, die alle Stufen umfassen, doch gibt es auch schon einige öffentliche Gymnasien, die nur 10.-12. Schulstufe anbieten.
Die Schulen verfügen über eine gewisse Autonomie. Es gibt zwar einen zentral vorgegebenen Lehrplan, doch die Schulen können im Rahmen dieses Lehrplans ihre eigenen Lehrpläne entwickeln und entscheiden, welche Schwerpunkte sie setzen wollen. Dies ist auch von Bedeutung im Konkurrenzkamp um SchülerInnen. Denn auch in Estland sind die Schülerzahlen rückläufig, und die Schulen kämpfen um potentielle "Kundschaft". Schulen können den Schwerpunkt auf Sprachen legen oder auf Naturwissenschaften oder auch auf Musik, Wirtschaft usw. Entscheiden müssen sich die Schüler nach der 9. Schulstufe. Das ist in etwa vergleichbar mit unserem G/RG/ORG System.
Außerdem können die Schulen selbständig einen Entwicklungsplan erstellen, über ihr Budget verfügen und ein Benotungssystem festlegen, und verfügen auch über die Personalhoheit.
Schattenseiten der Autonomie tun sich auf, wenn man etwa bei der schulautonomen Lehrplangestaltung etwas nachfragt. Die Schulen müssen zwar einen eigenen Lehrplan erstellen, extra geschulte Personen gibt es dafür aber nicht an den Schulen. Das zentrale Prüfungszentrum fungiert als Ansprechpartner, kann aber auch nicht so viel Unterstützung bieten, wie eigentlich nötig wäre.
Trotzdem scheint das System zu funktionieren. Man weiß aber nicht so genau, wieso. Dies wird gerade erforscht. Das "Bildungs-Informationssystem Estlands" hilft dabei. Dieses für alle estnischen Bildungseinrichtungen obligatorische System erfasst diverse Daten der Bildungseinrichtungen (Schülerzahlen, Schülerleistungen usw.) - von diesen Daten erhofft man sich Ansatzpunkte für zukünftige Verbesserungen.

...



Spannend, nicht?

4
Okt
2011

Freistunde

Ich habe gerade eine Physikstunde hospitiert und jetzt Freistunde. Da nutze ich doch die Gelegenheit, meine Beobachtungen und Gedanken zu dieser Physikstunde zu notieren.
Erst einmal die Rahmenbedingungen: Es gibt an der Schule nur einen Physiklehrer. Physik wird in Estland ab der 8. Klasse (ca. 14-jährige) unterrichtet, davor gibt es das Fach "Naturkunde", wo Ch, Ph und BiUK gemeinsam unterrichtet werden. Der Physiksaal ist hier an der Tabasaluer Schule auf den ersten Blick nicht als solcher erkennbar. Ganz normale Tische und Sessel, auch das Lehrerpult ist wie in einem gewöhnlichen Klassenraum, nur ein paar auf einem Regal gestapelte Physikbücher verraten die Bestimmung dieses Raumes. Es gibt eine Tafel (für Kreide), eine Leinwand zum Runterlassen, einen OH und einen Beamer. Versuchsmaterialien werden in einem Kammerl neben dem Physiksaal untergebracht, wie ich es aus Österreich gewohnt bin.
Seit ca. 10 Jahren beginnt der Physikunterricht mit dem Kapitel Optik, statt mit der Mechanik. Ist sicher attraktiver und erfordert auch keine großen Vorkenntnisse. Der Lehrer gestaltete seinen Unterricht ziemlich lehrerzentriert, es gab Zeichnungen an der Tafel (Bildkonstruktion bei Linsen) und die Projektion einer Flash-Animation, mit der er die Bildkonstruktion der Linsen am Computer zeigen konnte. Ein vertrauter Lehrertyp: Auf den ersten Blick autoritäre Ausstrahlung, doch offenbar genießt er es, mit den Schülern zu scherzen. Einige der Schüler und Schülerinnen haben das schon bemerkt und wissen offenbar auch, dass er im Grunde harmlos ist und scherzen dann mit ihm. Im Lauf der Stunde wurde es immer lauter, in der letzten Reihe sah ich zwei Mädchen Hausübungen (vermutlich eines anderen Faches) schreiben. Der Lehrer kommunizierte hauptsächlich mit den Burschen und mit zwei Mädchen: eine, die sich offenbar interessierte und mehrmals etwas fragte, und eine andere, die sich offenbar nicht interessierte und immer wieder mit ihrer Nachbarin laut tratschte. Dann folgende Szene: Ein Schüler sagte etwas, das offenbar nicht stimmte. Der Lehrer marschierte wortlos ins Kammerl und kam mit einer großen Linse zurück um den Schüler selbst sehen zu lassen. Diese Situation habe ich als Schüler UND Lehrer auch schon selbst erlebt.
Kurz: Lehrerverhalten und Unterrichtsgestaltung sind in Estland praktisch gleich wie in Österreich. Eigentlich war ich nach Estland gekommen in der Hoffnung, etwas anderes zu sehen. Vor allem liegt mir eine Apologie von uns Lehrern fern, denn ich will nicht leichtfertig die Verantwortung auf andere oder "das System" schieben. Doch was ich bisher feststellen kann, ist: Die Esten haben keinen schlechten Erfolg mit ihrem Schulsystem. Die Arbeit der Lehrer im Unterricht ist nicht so viel anders wie in Österreich, das Arbeitsumfeld hingegen schon. Wichtigste Unterschiede: Die Schüler sind (vergleichsweise) diszipliniert, es gibt sozialpädagogische Betreuung, die Schüler sind länger an der Schule, die Lehrer auch. Es gibt Zusatzangebote, z.B. hat jeder Lehrer eine Stunde am Nachmittag, wo Schüler mit Fragen kommen oder Versäumnisse aufholen können. Schüler mit Problemen (leistungsmäßig und/oder disziplinär) gehen in Extra-Klassen (die aber sehr klein sind). Und es gibt die Gesamtschule.
Und das ist natürlich schon ein Punkt: In Estland gelingt es, in einer Gesamtschule auf einem Niveau zu arbeiten, dass mit jenem der österreichischen Gymnasien mithalten kann.
Ich habe momentan jedenfalls etwas weniger Angst vor der "gemeinsamen Schule aller 10- bis 14-jährigen", wie es auf Ministeriumsdeutsch heißt, weil ich sehe, dass es in Estland zumindest funktioniert. Ich wünsche mir nur, dass es richtig gemacht wird. Und die sozialpädagogische Betreuung halte ich für enorm wichtig. Wie sich das Verhalten der Schüler in Zukunft entwickeln wird, werden wir ja noch sehen.
Jetzt gehe ich Biologie hopsitieren, dann habe ich zwei Stunden Unterricht. Vorher gehe ich noch essen. Gestern gab es Suppe, die ganz lecker war, und eine Nachspeise, die süß und ekelhaft war. Mal schaun, was es heute gibt.
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